Story
Unsere Gedanken drehen sich nicht um neue Marktakteure, die bessere Bahnen bauen als wir im Alpenraum. Wir hoffen schwer, dass wir auch in den nächsten Generationen mit unseren starken Stahlseilen, verrückten Bergstationen und innovativem Gondelmaterial die “physisch” besten Skigebiete bauen werden. Dennoch bringt die Digitalisierung neue Akteure und technologische Innovationen in den Markt, welche das wirtschaftliche Umfeld für Bergbahnunternehmen grundlegend verändern können.
Transportunternehmen vs. Erlebnissentwickler
Heute sind die Bergbahnen die grossen Player in den meisten alpinen Tourismusdestinationen. Blicken wir ein paar Jahrzehnte zurück, erinnern wir uns, dass dies nicht immer so war. Die Heilbäder und Grand Hotels dominierten den Bergtourismus seit seiner Entstehung. Erst nach Ende des zweiten Weltkriegs, zu Zeiten der “Alles fährt Ski” Kampagne und dem nationalen Ski-Boom wurden die Bergbahnen vermehrt zum Herzstück der Destinationen. Von Roll baute die ersten Sesselbahnen (1945 in Flims), der Staat organisierte Schneesportwochen, um die Schweizer Schüler:innen auf die Ski zu bringen und 1950/51 wurden gar Skischulen staatlich subventioniert.
Skifahren als Massensport: Talstation der Crap Sogn Gion Gondelbahn in Laax ca. 1970
Natürlich wurden schon vorher Seilbahnprojekte in der Schweiz realisiert. Jedoch nur wenige davon für touristische Zwecke. Die Mehrheit waren reine Transport- und Erschliessungsbahnen wie die Mürrenbahn, die Bettmeralpbahnen oder die Wirzwelibahn. Die Wende kam nach dem zweiten Weltkrieg. Es wurden nicht nur neue Bahnen gebaut, sondern ganzheitliche Erlebnisse rund ums Skifahren geschaffen. Die Wertschöpfungskette rund um die Transportbahn wurde durch Skipisten, Skischulen, Sportgeschäfte und Bergrestaurants erweitert. Heute würden wir sagen, die Schweizer Skigebiete haben eine ausgeklügelte Customer Experience rund ums Skifahren entwickelt und wurden zu Experience Design Unternehmen. Experience Design scheint also tief in der DNA der Skigebiete verankert zu sein.
Eine digitale Dimension ergänzt das Gesamterlebnis
Heute wird dieses Gesamterlebnis durch eine digital Dimension erweitert. Die Bandbreite dieser digitalen Dimension ist immens, kann aber meines Erachtens auf folgende drei Ebenen reduziert werden:
- Zugang zu Erlebnissen
- Convenience durch reduzierte Pain Points
- Erweiterung des physischen Erlebnisses
Zugang zu Erlebnissen
Während die physischen Erlebnisse grösstenteils dieselben bleiben, wird der Zugang zu diesen Erlebnissen gerade komplett neu gestaltet. Auf Grund der “Einfachheit” kaufen und buchen Gäste vermehrt online. Und genau hier kommen die neuen Marktakteure ins Spiel. Grosse, internationale Player haben den Online-Kauf bis ins Detail optimiert. Durch ihre Erfahrung, ihr Know-how und ihre Fokussierung auf die User Experience, sind sie den einzelnen touristischen Leistungsträgern im Online-Vertrieb meilenweit voraus. Über diese Plattformen zu buchen ist einfacher und macht mehr Spass.
In gewissen Bereichen des Tourismus, z.B. der Hotellerie, ist dies nichts neues. Seit 16 Jahren sind Buchungen über die örtliche “Tourismusorganisation” rückgängig. Neben E-Domizil ist der US-Konzern Airbnb schweizweit einer der stärksten Player für die Buchung von Ferienwohnungen. In den Hotellerie wird jede dritte Übernachtung über OTAs (Online Travel Agents) gebucht. Die drei grossen Player Booking.com, Expedia und HRS machen dabei 94% aller Buchungen aus. Laut Hotellerie Suisse haben Schweizer Hotels im 2021 rund 132 Millionen Franken an Kommissionszahlungen an OTAs getätigt. Die Schweizer Hotellerie und Parahotellerie wurde längst von Silicon Valley Big Tech disruptiert.
Digitale Disruptoren im Tourismus
Doch wie sieht es bei den Bergbahnen aus? Spätestens seit der Covid-19 Pandemie werden auch Lifttickets in Schweizer Skidestinationen vermehrt online gekauft. Einige Bergbahnen haben starke eigene Online Verkaufskanäle aufgebaut. Andere entschieden sich, den Online-Verkauf an Drittanbieter wie Ticketcorner und dergleichen auszulagern. Ähnlich sieht die Situation bei der Buchung von Aktivitäten aus. Auch hier mischt Airbnb mit seinen Airbnb Experiences bereits mit. Dann sind da noch Get your Guide sowie neue, lokale Player wie die Hyll App.
Auf den ersten Blick könnte man diese Entwicklung aus Sicht der Bergbahnen und anderen touristischen Leistungsträgern durchaus positiv interpretieren. Zwar werden Kommissionszahlungen fällig, jedoch wird die “Digitalisierung für mich gelöst”. Bleiben wir beim Beispiel der Bergbahn, so werden Lifttickets und die darum entstandenen Aktivitäten auf einen Schlag online buchbar. Als Bergbahn muss ich mich also nicht mehr um die Digitalisierung kümmern und muss nur wenig bis gar kein Geld dafür ausgeben: Digitalisierung einfach gemacht - check?
Nicht unbedingt. Manche Betriebe werden den eigentlichen Preis, den sie für diese “schnelle Digitalisierung” bezahlt haben wohl erst in ein paar Jahren erkennen. Der wahre Preis ist nämlich, dass die direkt Kundenbeziehung aus den eigenen Händen gegeben wird.
Um dies besser zu verstehen, lohnt es sich, einen kurzen Blick auf die Business Modelle der Big Tech Firmen zu werfen. Praktisch alle bauen darauf auf, dass sie im Besitz der Kundenbeziehung sind. Im Spezifischen heisst das, dass sie über sämtliche Kundendaten verfügen und diese ganzheitlich für sich nutzen können. Kundendaten, die die Grundwährung in der digitalen Welt darstellen. Viel mehr brauchen sie nicht, denn das zur Verfügungstellen von Infrastruktur und Arbeit wird gekonnt an lokale Leistungsträger outgesourced.
Die Geschäftsmodelle der Silicon Valley Unternehmen ohne eigene Infrastruktur
Nur wer die digitale Kundenbeziehung in der Hand hat, wird in Zukunft auch das Gesamterlebnis für die Gäste designen und steuern können. Erst dann kann das Potential der Digitalisierung für sich und seine Gäste maximal ausgeschöpft werden.
Convenience durch reduzierte Pain Points
Im Besitz der Kundenbeziehung zu sein bringt zwei Vorteile mit sich, welche als erfolgskritisch für eine gute Digitalstrategie erachtet werden können.
- Man ist in Kontrolle des digitalen Interfaces zum Kunden
- Man kommt in den Besitz von Daten
Das digitale Erlebnis ist heute ein zentraler Bestandteil des Gesamterlebnisses und ist nicht mehr wegzudenken. Nicht im Besitz des digitalen Interfaces zu sein heisst, dass die Gäste Drittplattformen gegenüber eigener Kanäle bevorzugen. Wird über dritte Kanäle geplant und gebucht, hat man keinen Einfluss auf das Digitale Erlebnis der Gäste und kann sie somit auch nicht während ihrer Customer Journey digital begleiten. Letztendlich wird man also zum reinen Serviceanbieter. Was der Bergbahn noch bleibt, ist die Bahnen laufenzulassen. Alles andere wird von Drittparteien kontrolliert. Ähnlich wie heute bei Uber…
Ist man jedoch im Besitz des Interfaces, kreiert man eine Vielzahl von digitalen Touchpoints entlang der Customer Journey. Daraus entsteht eine grosse Datenmenge. Diese Daten wiederum erlauben es Bergbahnen, kontextbasierte Informationen in Echtzeit den Gästen dann auszuspielen, wenn sie sie brauchen. Das Erlebnis für den Gast wird so vereinfacht und Painpoints reduziert. Hier ein paar Beispiele dazu:
- Personalisierte Empfehlungen anstatt Informationsüberflutung
- Parkplatzreservation anstatt Parkplatzsuche
- Essen auf dem Smartphone bestellen anstatt auf die Bedienung zu warten
- Passgenaue Gästekarteangebote statt Universal-Rabattbüchlein
- On-Demand Taxiservice statt auf gut Glück am Strassenrand auf ein Taxi zu warten
Erweiterung des physischen Erlebnisses
Dass mit dem richtigen Einsatz von Technologie und Daten das Gästeerlebnis vereinfacht und verbessert werden kann, ist wohl offensichtlich. Vermehrt wird Technologie jedoch auch dazu genutzt, um eine digitale Ebene zu kreieren, welche das physische Erlebnis ergänzt und intensiviert.
Ein effektiver Mechanismus ist dabei die Gamification. Darunter wird die Anwendung spieltypischer Elemente in einem spielfremden Kontext verstanden. Im Bergbahnkontext kann Gamification z.B. auf der Aufzeichnung von Ski-, Wander- oder Biketagen basieren. Der Trend zum Performance-Tracking nimmt bei Amateur- und Outdoorsportler weiter zu. Die Menschen sind sich gewohnt, ihre physischen Leistungen digital aufzuzeichnen. Elemente wie Ranglisten, Tagesrückblicke und Challenges kreieren dabei eine faszinierende Symbiose zwischen der realen und der digitalen Welt und bringen das Bergerlebnis auf ein neues Level.
Erweiterung des physischen Gästeerlebnisses, Auszug aus dem initialen Konzept von Inside Labs für die Bike Kingdom App
Vermehrt sieht man heute schon die Anwendung von Augmented Reality (AR) Technologie, mit der sich das physische Landschaftsbild mit einer virtuellen Dimension erweitern lässt. So können diese dazu helfen, sich auch bei Nebel zu orientieren oder es können Geschichten und Erlebnisse basierend auf der lokalen Umgebung über eine virtuelle Dimension erzählt werden. Aktuell werden auch Ansätze für komplett virtuelle Parallelwelten, sogenannte “Metaverses” konzipiert. Auch wird der Einsatz von Web 3.0 für die Verknüpfung der realen mit der virtuellen Welt, zum Beispiel über NFTs, evaluiert. Wir dürfen darauf gespannt sein, wie sich das physische Gästeerlebnis in Zukunft digital erweitern wird.
Experience Designer oder reine Infrastrukturbetreiber?
Die digitale Dimension ist heute schon fixer Bestandteil des Gesamterlebnisses eines jeden Gastes. Die Frage, die es zu beantworten gibt ist folgende: Will ich die digitale Dimension aktiv bearbeiten und kontrollieren oder will ich dies bewusst nicht tut?
Die digitale Dimension des Gästeerlebnisses
Ein “richtig” oder “falsch” gibt es dabei kaum. Will man das digitale Erlebnis jedoch in der eigenen Hand haben, so ist es unabdingbar, die Kundenbeziehung zu besitzen. Dabei gilt es mit den für den Gast gewohnten digitalen Kanälen in den ersten Phasen der Customer Journey zu co-existieren, die Gäste aber in ihrem Vor-Ort-Erlebnis bestmöglich digital zu unterstützen. Absehbar ist auch, dass in naher Zukunft weitere Tech-Akteure in den Tourismus eintreten werden. Der Vorteil, den die Destination gegenüber weltweit skalierbaren Lösungen jedoch hat, ist wohl die Nähe zu den Leistungsträgern und zu den Erlebnissen - die Lokalität also. Entscheidet man sich das digitale Erlebnis aktiv mitzugestalten, macht man “Digital” zu einem fixen Bestandteil des Leistungsauftrages und begibt sich auf eine mehrjährige Reise. Um nochmals die Brücke zu Big Tech zu schlagen: Man muss sich entscheiden ob man Uber oder Uber-Fahrer sein möchte.
Hast du Fragen zum Artikel oder zu anderen Themen rund um die Digitalisierung im Tourismus? Dann schreib uns via talkto@insidelabs.tech . Wir freuen uns von dir zu hören.
Für ein monatliches Update rund um die Digitalisierung im Tourismus und Inside Labs direkt in dein Postfach empfehlen wir dir zudem unseren bulletin Newsletter. Jetzt anmelden.