Die Schwerpunkte deiner Forschung sind Datenstrategien und andere Herausforderungen der digitalen Transformation im Tourismus. Welche sind die wichtigsten Erkenntnisse aus deiner Arbeit für touristische Destinationen und Leistungsträger?
Mauro Gotsch:In einem Satz: touristische Unternehmen können es sich nicht mehr leisten, sich datenstrategisch nicht zu positionieren. Touristische Unternehmen, insbesondere KMUs, müssen sich aufgrund des neuen Datenschutzgesetzes der Schweiz intensiv mit ihrer Datenstrategie auseinandersetzen. Es ist entscheidend, sensible Kundendaten strategisch und sicher zu verarbeiten, um das Vertrauen der Kundschaft zu erhalten und ein Mehrwert zu schaffen. Eine gezielte Investition in Datenkompetenzen bietet die Chance, den Datenschutzbedürfnissen der Gäste gerecht zu werden und gleichzeitig eine einzigartige Marktposition, basierend auf schwer zu replizierenden Datensets, zu etablieren.
Warum ist das Thema Datenstrategie insbesondere im Tourismus-Kontext so wichtig?
Mauro Gotsch:Der Tourismus als Industrie hat drei zentrale Herausforderungen. Die erste ist, dass die grosse Masse an Kundendaten bereits von verschiedenen Plattformen kontrolliert wird. Services wie Airbnb und Booking wissen auf einem Makro-Level mehr als Leistungsträger über den Markt und nutzen diese Transparenz zum eigenen Gewinn aus. Jeder Leistungsträger muss sich deshalb überlegen, ob er sich dem Druck dieser Plattformen überhaupt aussetzen will, auf das Risiko hin, weniger potenzielle Kundschaft zu erreichen.
Die zweite Herausforderung ist der Aufbau einer Destination als zusammenhängende Einheit. Üblicherweise ist nicht ein Leistungsträger allein verantwortlich für die Gestaltung eines unvergesslichen Aufenthalts – mehrere Services, von ÖV bis Stadtbild hin zum Hotel tragen dazu bei. Wenn man diese Zusammenarbeit aber digital verbessern möchte, stösst man schnell auf verschiedene Hürden: Datenschutz, Wettbewerbsrecht, Data Governance und so weiter. Es besteht also viel Potenzial für Zusammenarbeit oder die Gestaltung von gemeinsamen Angeboten. Das Stakeholdermanagement für solche Projekte ist jedoch eine grosse Herausforderung.
Die letzte Herausforderung hatte ich bereits erwähnt: Viele der relevanten Kundendaten im Tourismus sind sensibel und werden deshalb nicht gerne geteilt. Einerseits, weil die Daten an sich viel über den Gast preisgeben, andererseits, weil gerade ausländische Gäste mit den Datenschutzbestimmungen des Landes nicht vertraut sind. Dementsprechend muss Überzeugungsarbeit bei der Kundschaft selbst geleistet werden – am besten mit einem direkt sichtbaren Vorteil für die Kundschaft.
Welche Rolle spielt eine klar definierte Datenstrategie im Zusammenhang mit der Anwendung künstlicher Intelligenz?
Mauro Gotsch:Mit der Explosion an Instrumenten, welche seit der Veröffentlichung von ChatGPT 3.5 auf den Markt gekommen sind, ist die erste Frage der Datenstrategie die wichtigste: Mit welchen Daten wollen wir für welche Kundschaft welchen Mehrwert schaffen?
Von da aus folgen alle anderen Überlegungen. Momentan haben viele Angst den Anschluss zu verpassen, wenn sie nicht sofort erste AI-Technologien einsetzen. Da wir aber noch nicht wissen können, welche spezifischen AI-Anwendungen sich am Ende durchsetzen werden, ist es wichtiger einen bestimmten Mehrwert oder USP (Unique Selling Point) zu definieren. Dies vereinfacht sowohl die Auswahl an Instrumenten sowie deren Erfolgskontrolle durch die Frage: Trägt dies wirklich zu dem von uns angestrebten Mehrwert bei? Diese Idee ist nicht neu und war vor ein paar Jahren unter dem Buzzword «North Star Metric» oft in der Diskussion. Für Airbnb war der Kernfokus z. B. auf der Anzahl gebuchter Nächte. Der Mehrwert in diesem Beispiel: Mehr Hosts mit Reisenden zu verbinden. Für eine riesige Plattform wie Airbnb macht der aggressive Einsatz von AI z. B. im Buchungsprozess Sinn. Doch wie sieht es beispielsweise bei einem Leistungsträger in einer Destination aus? Macht es für ein Hotel, dass auf persönliche Erlebnisse und menschliche Verbindungen als USP setzt, tatsächlich Sinn, eine AI als Concierge zu nutzen? Wenn ja, unter welchen Umständen? Das sind beides Fragen der strategischen Ausrichtung.
Was sind die grössten Herausforderungen beim Thema Datenstrategie für touristische Destinationen und Leistungsträger?
Mauro Gotsch: Die grösste Herausforderung für Unternehmen in allen Branchen ist es, die nötigen Ressourcen und Fachkräfte für gezielte Datenverarbeitung zu finden. Während im Silicon Valley KI-gesteuerte Marketingprozesse dominieren, bleiben in der Schweiz viele Unternehmen analog, hauptsächlich aufgrund von Ressourcenmangel. Für eine effektive Automatisierung sind fünf Schlüsselkomponenten erforderlich, darunter die Entwicklung von IT-Kompetenzen, Einbindung des Dialogmarketings, Verständnis für Automatisierung in der Kundenreise, Integration von Mensch und Maschine und die Wahrung der Privatsphäre.
Am 16. November 2023 findet an der FH Graubünden das Tourismus Trendforum zum Thema «Data Driven Excellence: Qualitätstourismus durch effektive Datenstrategien» statt. Wer sollte dieses Event auf keinen Fall verpassen und was dürfen die Teilnehmenden erwarten?
Mauro Gotsch:Das Event richtet sich an alle Vetreter:innen aus dem Tourismus. Besonders wertvoll ist es jedoch für kleinere und mittelständische Unternehmen. Wir nehmen das breite Thema «Datenstrategie» und brechen es anhand von konkreten und bereits umgesetzten Case Studies im Tourismus auf ein umsetzbares Level runter. Personen, denen die Digitalisierungsdebatte im Tourismus bisher zu abstrakt war, sollten dementsprechend sicher teilnehmen.
Zusätzlich haben wir mehrere Start-ups und Unternehmen aus dem Kanton zu Gast, welche ihre neusten Services im Tourismus vorstellen, und es wird auch die Chance geben, über die Anpassungen unter dem neuen Datenschutzgesetz mit einer juristischen Expertin zu diskutieren. Sollte all dies das Interesse noch nicht geweckt haben, gibt es auch noch einen grossen Ideenwettbewerb und einen feinen Networking-Apéro. Es lohnt sich also auf jeden Fall, dabei zu sein!
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